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Forschung: Techno
 
 

[Einschlägige Publikationen]
[Leben in Szenen. Formen jugendlicher Vergemeinschaftung heute]
[Techno-Soziologie. Erkundungen einer Jugendkultur]
[Events. Soziologie des Außergewöhnlichen]

 
Ronald Hitzler und Michaela Pfadenhauer 


Zwischen Zitat und Revival 
Wo bleibt der Spaß der Technoiden?

 

Seit dem Aufkommen von Techno als musikalischer Stilrichtung und Jugend-kultur in den frühen 1990er Jahren ist Vieles und viel Kontroverses geschrieben worden. Kaum ein anderes popmusikalisches Phänomen scheint die populäre Kultur des ausgehenden 20. Jahrhundert stärker geprägt und treffender repräsentiert zu haben als Techno: Traditionelle Gegensätze wie Spaß und Widerstand, Kommerz und Individualität, Konsum und Ideologie sowie Technik und Körper scheinen sich hier neu miteinander verbunden zu haben.

Zweifelsohne hat diese ‚Bewegung' - wie die erweiterte Techno-Szene unter Einschluß ihrer Mitläufer ebenso häufig wie ungenau bezeichnet worden ist - mittlerweile ihren Zenit überschritten: Techno ist längst im etablierten Pop-Kanon angekommen und hat die pop-typischen Entwicklungen (etwa interne Diversifizierung und Hierarchisierung, Subszenenbildung, Kommerzialisierung, Standardisierung etc.) durchlaufen. Die Grundidee von Techno als einer auf elektronischer Musik basierenden Partykultur hat sich veralltäglicht, der Nimbus des Frischen, Aufbruchsartigen ist verschlissen.

Nicht, dass es sie überhaupt nicht mehr gäbe: Es gibt sie durchaus noch, die gu-ten alten Techno-Partys - mit ihrer stark repetitiven, elektronisch produzierten (Tanz-)Musik, bei der vom DJ einzelne Versatzstücke (‚tracks') so ‚kunstvoll' ineinander gemischt werden, daß ein durchgängiger Sound-Teppich - typischerweise im 4/4-Takt - entsteht, der aus riesigen Lautsprechern wummert, deren Anordnung einen Klang-Raum ‚von allen Seiten' erzeugt; mit ihren mitunter gigantischen Laseranlagen und Light-Shows, die diesen Raum in einer ‚Orgie' aus Lichtern und Farben gleißend hell erstrahlen lassen und dann wieder in ein geheimnisvoll nebelumwobenes Dunkel hüllen; mit dem Schreien und Jubeln der schweißglänzenden Tänzer, die den Takt der Musik in den Boden stampfen und ihre Arme mit den Ausschlägen der Musik in die Luft reißen; das Feiern ‚bis zum Umfallen' und das ‚relaxte' Chillen im Kreise der Freunde, die ge-meinsam ihre Freude am Spaß und ihren Spaß an der Freude zelebrieren.

‚Spaß' ist die oberste Maxime jener musikzentrierten Jugendkultur, die seit über einem Jahrzehnt unter dem Etikett ‚Techno' firmiert, das sich in den frühen 1990er Jahren als Label für eine sich im Laufe der 1980er Jahre etablierende elektronische Tanzmusik durchgesetzt hat und mittlerweile als Sammelbezeich-nung für eine große Anzahl vielfältiger, elektronisch erzeugter Musikstilrichtun-gen dient. Jenseits seiner Manifestation in einer ausdifferenzierten Art von stark repetitiver, elektronisch erzeugter Musik meint ‚Techno' einen partyzentrierten Lifestyle, der sich signifikant äußert u.a. in besonderen Tanzformen, in speziellen Konsumgewohnheiten, in auffälligen Attitüden und habituellen Eigenarten sowie in signifikanten Arten von Geselligkeiten, die im Jargon dieser Szene ‚Events' genannt werden.

Diejenige Art von Event, die das Bild von Techno in der öffentlichen Wahr-nehmung am nachhaltigsten geprägt hat, sind Paraden, d.h. Straßenumzüge mit Techno-Musik, die als aufsehenerregende Spektakel inszeniert werden und die Existenz der einen ‚Raving Community' zumindest nach ‚außen' hin vorführen. Zwei weitere signifikante Arten von Events lassen sich unterscheiden: Techno-Club-Nächte zum einen und - besonders szene-spezifisch - die sogenannten ‚Raves' zum anderen. Bei letzteren handelt es sich um Veranstaltungen, die in, an oder auf ‚locations' (z.B. Großhallen bzw. Hallenkomplexe oder auch Open Air-Gelände) stattfinden, welche groß genug sind, daß etliche Tausend bis Zig-tausend Liebhaber von Techno-Musik zusammenkommen und raven, d.h. sich tanzvergnüglich austoben und dabei ihren Spaß haben können.

Die typische Partynacht im Techno-Club unterscheidet sich nicht nur quantitativ und logistisch, sondern auch sozusagen ‚atmosphärisch' vom Rave: Während der Rave ein besonderes, aus dem Alltag auch der Techno-Szene herausgehobe-nes Ereignis zum dezidierten ‚Abfeiern' ist, ist die Club-Nacht in der Regel die institutionalisierte Form einer z.B. wöchentlich oder monatlich sich wiederho-lenden, typischerweise thematisch bzw. stilistisch fokussierten Veranstaltung mit der Option zum Tanzen - oder zum Abhängen. Während die Grundstim-mung beim Rave durch Ausgelassenheit, Sensationslust, Exhibitionismus ge-prägt wird, ist die habituelle Grundstimmung bei der Club-Nacht dagegen Coolness und Vertrautheit mit der Situation.

Im Unterschied zur ‚Hoch-Zeit' von Techno läßt sich derzeit beobachten, daß Raves längst nicht mehr an jedem Wochenende und längst nicht mehr in jedem Provinzstädtchen der Bundesrepublik angeboten werden. Aber auch im Hinblick auf den ‚Spaß-Faktor' scheint bei Raves zunehmend Clubstimmung Einzug zu halten: Denn wo finden wir noch jene Techno-Enthusiasten, die sich öffentlich und medial in Szene setzen, die sich offenkundig lustvoll zur Schau stellen, die Kreativität und Phantasie in der ‚Plünderung' von Mode-Stilen zeigen, ihre Körper exhibitionieren, Bewegungslust und Lebensfreude demonstrieren - wo, außer eben noch bei den großen Paraden, den als "unpolitisch" abqualifizierten Demonstrationen kollektiver Lebenslust?

Ansonsten scheint sich sowohl das Erlebnisangebot als auch die Erlebnisnach-frage in der Techno-Szene von ‚groß, friedfertig, ausgelassen' auf ‚klein(er), distanziert(er), diszipliniert(er)' umgestellt zu haben: Die (nicht mehr ganz jun-gen) Körper sind - wieder - in eher funktionaler denn fantasievoll kombinierter streetwear verhüllt; mitunter treffen wir - Two Step-inspiriert - auf eine Art Amalgam aus intellektualistischem Drum'n'Bass-Styling (insbesondere bei den Männern) und exhibitiver Samstag-Abend-Ausgeh-Klamotten-Kultur (insbesondere bei den Frauen). Die Bewegungslust hat sich in Bewegungskontrolle transformiert: man steht - wieder - gelassen im Dunkel des Scheinwerferlichts, wippt cool im Takt der beats und wartet relativ lange - sich wechselseitig einigermaßen verhohlen beäugend - ab, ehe man den entscheidenden, weil sozusagen initialzündenden Schritt auf die Tanzfläche macht.

Demgegenüber expressivere Formen von Gefühlsaufwallung begleiten die of-fenkundige Renaissance des Trance, die nicht nur in Großbritannien, sondern inzwischen auch auf dem europäischen Festland gefeiert wird: Das damit ein-hergehende Vergnügen an "schrägen" Maskeraden erinnert uns an Zeiten, zu denen hierzulande der karnevaleske Überschwang der Technoiden noch szene-symptomatisch, also eben noch nicht auf medien-exhibitive Massen-Events reduziert war, sondern auch das sozusagen ‚alltägliche' Clubleben geprägt hat. Aber es läßt sich der Eindruck nicht verbergen, daß es sich allem Anschein nach eher um Zitate jener trance-igen Gelöstheit, jener enthusiastisch-ekstatischen Verzückung handelt, in die sich die Trance-Fans üblicherweise kollektiv hineintanzen, als um eine originäre Entwicklung.

Überall dort aber, wo sich hektische Aufmerksamkeit in stille Betriebsamkeit wandelt, eröffnen sich Möglichkeiten für eine ‚Wiederkehr': Techno wird ‚revivalreif' und dient als Folie für allerlei Stilisierungen und Verfremdungen, was ein deutliches Zeichen dafür ist, dass ein Genre in die Annalen der Popkultur eingegangen ist, aber auch Chancen für neue Entwicklungen birgt. Aktuell lassen sich dabei vor allem wieder Ambitionen registrieren, Techno in Gestalt einer digitalen Kunstmusik ein intellektuelleres Image und eine künstlerische Note zu verleihen. Aber auch einer ‚Neu-Auflage' des ‚banaleren' (Massen-)Spaßes steht nicht grundsätzlich etwas im Wege: Gemeint sind damit Techno-Partys mit den ‚guten alten' Rave-Signalen, bei denen sich DJs nicht zu schade sind dafür, den ‚track' mit dem besonders hohen ‚Abgehfaktor' hervorzuholen und zum überschäumenden Vergnügen der dann in der Tat wieder ravenden Horde das aufzulegen, was man in der Branche (bislang allzu verächtlich) "Schweine-Techno" nennt.

Zwischen Zitat und Revival' scheint uns damit die treffendste Beschreibung der Situation zu sein, in der ‚Techno' bzw. der Spaß der Technoiden derzeit angekommen ist.


 

 
 
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