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Schießen im Verein
 
 
 
Schießen im Verein 
Eine explorative Untersuchung
des legalen Besitzes und Umgangs mit Schußwaffen 


 
Kurzbeschreibung des Projekts:

Das Forschungsprojekt beschäftigte sich mit Schützenvereinen, welche bis anhin - abgesehen von geschichtswissenschaftlichen und volkskundlichen Untersuchungen über das traditionelle Schützenwesen und dessen Brauchtumspflege - keine akademische Aufmerksamkeit gefunden hatten. Das heißt: weder über typische Relevanzstrukturen von Schützen noch über das Interaktionsgeschehen innerhalb von Schützenvereinen hatten wissenschaftlich gesicherte Daten vorgelegen. Dergestalt war bislang vor allem auch der durchaus 'brisante' Aspekt vernachlässigt worden, dass Schützenvereine ihren Mitgliedern ermöglichen, in den legalen Besitz von (großkalibrigen) Schusswaffen zu gelangen, welche auch zu anderen als zu sportlichen Zwecken eingesetzt werden können. Dieses akademische Desinteresse steht aber im eklatanten Gegensatz zur steigenden Gesamtzahl solcher Vereine und ihrer Mitglieder. Unter Verwendung explorativ-interpretativer Forschungsmethoden sollte deshalb die Kultur der Schützen rekonstruiert werden.

Untersuchungsschwerpunkte waren, dem Antragsdesign entsprechend,

  • die Exploration des Feldzugangs und der eigenen Erstrekrutierung (infolge der Aufteilung einer ganzen Mitarbeiterstelle in zwei halbe Mitarbeiterstellen wurde die im Antrag projektierte Zweitrekrutierung naheliegenderweise durch die Mitgliedschaft von zwei Mitarbeitern in je einem Verein ersetzt)

  • die Exploration der Ideologiestruktur und des kollektiv geteilten Selbstverständnisses von Schützen

  • die Exploration des Selbstverständnisses vom Umgang mit der Waffe auf Seiten der Schützen

  • die Exploration des auf Notwehrsituationen bezogenen Rechtswissens auf Seiten der Schützen.

Insbesondere aufgrund der sich im ersten Halbjahr der Untersuchung offenbarenden Schwierigkeiten der Forscher, einen Zugang in das für jedwede Form der Aufmerksamkeit 'von außen' hochgradig sensibilisierte Feld der Schützen zu finden, was einen gegenüber der ursprünglichen Planung erheblichen zeitlichen Mehraufwand erforderte, wurde von uns (über das Antragsdesign hinaus) die Untersuchung zur Klärung dieser Problematik ausgeweitet auf

  • die Frage nach historischen Entwicklungslinien im Schützenwesen, welche möglicherweise Hintergründe für derartige Sensibilisierungen auf Seiten der Schützen liefern, sowie

  • die Hinzuziehung der Behördenvertreter-Perspektiven, d.h. das Führen von Interviews mit Behördenvertretern, welchen im Alltag der Schützen in Bezug auf waffenrechtliche Erlaubnisse und Außenwahrnehmung eine wichtige Bedeutung zukommt.


Zusammenfassung wesentlicher Ergebnisse

1. Das Schützenwesen konstituiert sich als institutionell durchwirkte Kultur


Schützenvereine bilden die Basis der institutionellen 'Architektur' des Schützenwesens. Der in Vereinen statthabende soziale Schützenalltag weist einen hohen Institutionalisierungs-grad auf. Im Wesentlichen betrifft das die regelmäßigen Schießtermine, die Wettkämpfe, die Rekrutierungspraktiken neuer Mitglieder und - in geringerem Ausmaß - die sonstigen sozialen Veranstaltungen (gemeinsame Ausflüge, Sommerfeste, gesellige Ausklänge der Trainingseinheiten). Der hohe Institutionalisierungsgrad wird in der schriftlichen Dokumentation der Aktivitäten und ihrer Teilnehmer (Anwesenheitslisten bei Schießterminen, individuelle und vereinsgeführte Dokumentationen der Schießergebnisse etc.) besonders deutlich. Diese Dokumentationen erzeugen in ihrer Gesamtheit ein Bild vom Schützenwesen, in dem sich die offizielle Figur des Sportschützen, der seine Waffen ausschließlich zu sportlichen Zwecken besitzt, idealtypisch widerspiegelt.

Schützenvereine haben für die Schützen jedoch unterschiedliche Bedeutungen. 'Hobbyschützen' (die größte Gruppe unter den Schützen) pflegen zu ihren Vereinen ein lediglich zweckorientiertes Verhältnis. Ihr insgesamt gemäßigtes Engagement für ihr Hobby spiegelt sich auch in einem gemäßigten Engagement für den Verein wider: Über die mehr oder weniger regelmäßige Teilnahme an den Schießterminen hinaus wollen sie in die Aktivitäten des Vereins nicht involviert werden. Vereine sind für sie letztlich nur Mittel zum Zweck - zum Zweck nämlich, Waffen besitzen und mit ihnen umgehen zu dürfen. Eine weitere Gruppe, die 'Waffennarren', engagiert sich in ihrem Verein (bzw. in ihren Vereinen) hingegen deutlich mehr und identifiziert sich nicht selten mit ihm (bzw. ihnen). Die 'Waffennarren' halten die institutionelle Struktur sozusagen 'am Leben'. Durch ihr Engagement eignen ihnen umfangreiche rechtliche Kompetenzen, die sie zum Teil sehr geschickt einsetzen, um ihren Wunsch nach einer möglichst umfangreichen Ausgestaltung ihrer Aktivitäten hinsichtlich Waffen- und Munitionsarten sowie verschiedener Schießdisziplinen gegenüber den Behörden durchzusetzen.

Auf die Handlungsmöglichkeiten der Schützen haben die zuständigen Behörden erheblichen Einfluss. Deren erklärtes Ziel, möglichst wenig privaten Waffenbesitz zuzulassen, trifft bei den Schützen auf Unverständnis. Für diese unverständlichen Absichten machen die Schützen allerdings nur die in den Ministerien agierenden Beamten - und mit ihnen die meisten Politiker - verantwortlich. Den zuständigen Behördenvertretern vor Ort begegnen die Schützen in der Regel mit Respekt, denn mit ihnen wollen sie gut auskommen, und mit ihnen wollen sie einen Arbeitskonsens schließen, der darauf hinausläuft, dass die zum Teil sehr lückenhaften und unklaren waffengesetzlichen Vorschriften im Zweifelsfall zu ihren Gunsten, in jedem Fall aber nicht gegen sie ausgelegt werden.


2. Das Schützenwesen konstituiert sich als Kultur des Privaten

Die Kultur der Schützen schreibt ihren Mitgliedern vor, ihr sozial sichtbares und wirksames Handeln mit den waffengesetzlichen Vorschriften abzugleichen. Illegale Aktivitäten werden von Schützen grundsätzlich missbilligt. Davon unberührt gestaltet sich diese Kultur wesentlich facettenreicher als das auf Sportlichkeit reduzierte Bild vom Schützen, welches in der gesetzlich objektivierten Figur 'Sportschütze' zum Ausdruck kommt.

Dieser scheinbare Widerspruch löst sich schnell auf: Das Waffengesetz lässt genügend Freiraum für die Besitzer legaler Schusswaffen, denn es regelt lediglich das institutionalisierte, soziale Leben der Schützen; und genau dieses macht nur einen Teil ihrer Kultur aus. Vieles von dem, was den Alltag der Schützen darüber hinaus ausmacht, spielt sich im Privaten ab: zu Hause verwahren sie ihre Waffen, pflegen und putzen sie, bauen sie auseinander und wieder zusammen, erfreuen sich an ihrem Aussehen, sammeln und lesen Hintergrundberichte usw. Und aus welchem Grunde der einzelne Schütze 'eigentlich' seine Waffe(n) hat, und warum er damit schießt, ist seine Privatsache - die Kultur der Schützen schreibt ihren Mitgliedern diesbezüglich nichts vor.

Wichtig ist den Schützen allerdings, dass der Einzelne in seiner 'privaten' Praxis des Umgangs mit Waffen dem Image des Schützenwesens keinen (weiteren) Schaden zufügt. Vor dem Hintergrund strikter Rekrutierungspraktiken und entsprechender Schließungsprozeduren vertraut man im Kreise der Schützen auf das, was als die Vernunft aller Mitglieder dieser Kultur betrachtet wird. Insbesondere vertrauen die Schützen darauf, dass (vermeintlich) 'heikle' Details nicht 'an die große Glocke' gehängt werden, denn ihr Misstrauen gegenüber Außenstehenden, solche Details absichtsvoll 'falsch' bzw. zu ihrem Nachteil auslegen zu wollen, ist groß.


3. Schützen begreifen sich als Waffenbesitzer

Im Zentrum der Relevanzen von Schützen steht nicht das Schießen, sondern stehen die Waffen - sie sind die Bezugspunkte ihrer Leidenschaft. Über das durchaus emotionale Verhältnis der Schützen zu ihren Waffen hinaus - sie gefallen, sind schön und anziehend - gründet deren nachdrücklicher Anspruch auf den Besitz von und das Eigentum an Waffen auf einer gesellschaftspolitischen Gesinnung: Waffenbesitz gilt den Schützen als Grundrecht gesetzestreuer und loyaler Bürger. In allen Bemühungen von Seiten des Staates, dieses Recht zu beschneiden, sehen sie antiliberale, wenn nicht sogar totalitäre Tendenzen. Ihr Selbstverständnis als Waffenbesitzer und Schützen - und dezidiert nicht als Sportschützen - ist für sie ein Bekenntnis zu einer Leidenschaft und politisches Statement zugleich.


4. Schützen konstituieren eine bürgerliche Kultur

Die Schützen verstehen sich nicht nur als loyale und gesetzestreue Bürger, sondern auch als Leistungsträger der Gesellschaft - und daher wollen sie in ihren Reihen nur Personen mit 'angesehenen' Berufen, festem Wohnsitz und gutem Leumund haben. Die Auseinandersetzung mit Waffen stellt sich für sie nicht als zweifelhafte Angelegenheit dar, sondern als Inbegriff liberal-bürgerlichen Daseins: Der Umgang mit Waffen schult ihrer Ansicht nach vor allem anderen die Disziplin im Umgang mit gefährlichen Gegenständen, und dies evoziert ihrem Selbstverständnis nach ein Nachdenken über das eigene Verhältnis zu Macht und Gewalt, weswegen der Umgang mit Waffen ein wichtiger Beitrag zur Aufrechterhaltung von Zivilisiertheit ist. Waffen sind für die Schützen insofern ein Symbol bürgerlicher Zivilisation - und übrigens auch historische Zeitzeugen auf dem Weg dorthin.

Nun sehen sich die Schützen aber einer Öffentlichkeit gegenüber, die ihrer Ansicht nach kein Verständnis dafür hat, dass sie Schusswaffen ihr Eigentum nennen. Sie sehen sich einem ständigen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt, von dem sie obendrein aus Erfahrung wissen, dass auch umfangreiche Imagekampagnen ihn nicht wirksam mindern können. Die einzig Erfolg versprechende Strategie im Hinblick auf die Bewahrung ihrer gefährdeten Kultur sehen die Schützen daher im permanenten Nachweis ihrer Seriosität - vor allem gegenüber den Behörden.


Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt ist abgeschlossen. Ein Abschlussbericht liegt vor.

Laufzeit: 01.07.2000 bis 30.06.2002

Kontakt: Dr. Arne Niederbacher


Publikationen:

Niederbacher, Arne, 2004: Faszination Waffe. Eine Studie über Besitzer legaler Schusswaffen in der Bundesrepublik Deutschland. Neuried: ars una

Niederbacher, Arne, 2004: Was fasziniert die Menschen an Waffen? In: UNIZET, Heft 9/ 10, Nr. 364: 3

Niederbacher, Arne, 2003: "Ich brauch ne Waffe..." Notizen über die Relevanzstrukturen von Besitzern legaler Schusswaffen in Deutschland. In: Jutta Allmendinger (Hg.): Entstaatlichung und soziale Sicherheit. Verhandlungen des 31. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Leipzig 2002. Beiträge aus Arbeitsgruppen, Sektionssitzungen und den Ad-hoc-Gruppen (CD-Rom Publikation). Opladen: Leske + Budrich

Niederbacher, Arne, 2002: Faszination Waffe. In: Visier: Das internationale Waffen-Magazin, Heft 7: 23-25

 

Filme:
 

'Deutschland unter Waffen'. Ein Film von Lutz Hofmann (LOOKS Medienproduktionen Rostock). Erstausstrahlung: 30.06.2010, 23:30 Uhr, ARD, 45 min

'Faszination Waffe'. Ein Film von Peter Schubert (Peresfilm München). Erstausstrahlung: 21.10.2002, 22:30 Uhr, SW 3, 45 min


 

 
 
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