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Erlebniswelt Spielhalle
 
 

Erlebniswelt Spielhalle
Eine Feldstudie zur Kultur in Spielhallen

 

Kurzbeschreibung des Projekts:
Ziel des Forschungsprojekts - welches in Kooperation mit Prof. Dr. Jo Reichertz (Universität Duisburg-Essen) durchgeführt wurde - war es, aus kommunikationswissenschaftlicher und soziologischer Perspektive die Rekonstruktion der lokalen Spielhallenkultur zu verfolgen. Neben Fragen, wer wann mit welchen Motiven Spielhallen aufsucht, wie mit Gästen und Grenzgängern umgegangen wird oder welche Verhaltensweisen in Spielhallen als erwünscht bzw. unerwünscht gelten, ging es auch darum zu erkunden, welche Deutungen die Betreiber und das Servicepersonal von Spielhallen in Bezug auf ihre Kunden haben. Um die Kultur der Spielhalle umfassend zu rekonstruieren wurden die folgenden, nicht-standardisierten Methoden der Datenerhebung und -auswertung mit dem Ziel der Methoden- und Datentriangulation kombiniert: Beobachtende Teilnahme und teilnehmende Beobachtung (Spielhallen), narrative Interviews (Spieler), Experteninterviews (Spielhallenbetreiber, Techniker und Servicepersonal), wissenssoziologische Hermeneutik und Inhaltsanalyse.

Zusammenfassung wesentlicher Erkenntnisse:
Der Diskurs zum Glücksspiel im Allgemeinen und zum Automatenspiel im Besonderen wird von psychologischen, medizinischen, juristischen und ökonomischen Beiträgen dominiert. Entsprechend häufig finden dort Begriffe wie 'pathologisches Spielen' und 'Spielen um Geld' Verwendung. Die Ergebnisse unserer empirischen Untersuchung zeigen freilich, dass man mit diesen gebräuchlichen Begrifflichkeiten dem Geschehen in Spielhallen nicht gerecht wird. Die Kultur der Spielhalle ist wesentlich durch andere Prinzipien und Relevanzen geprägt.

Im Unterschied zum Lottospieler bauen Spieler an Geldspielautomaten keine traumhaften Luftschlösser vom Leben nach dem großen Gewinn. Das Spielen selbst erscheint so attraktiv, dass man sich - obwohl jeder Spieler weiß, dass dort auf lange Sicht kein Geld zu gewinnen ist, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit finanzielle Verluste drohen - dem Spielen aussetzt. In einer Gesellschaft, in der regelmäßig in den Bahnen der klassischen Ökonomie gedacht wird, kann es deshalb keine rationalen, keine 'guten' Gründe für das Spielen an Geldspielautomaten geben. In dieser Perspektive erscheint das Automatenspiel nicht nur als widersinnig, als unsinnig, sondern oft auch als Ausdruck von Krankheit, der therapeutisch begegnet werden muss. Allerdings gibt es in unserer Gegenwartsgesellschaft diverse Subuniversa und Orte, in denen andere Gründe als 'gute', weil rationale Gründe gelten. Nicht nur deshalb, aber auch deshalb sind Spielhallen nicht von dieser Welt. Spielhallen sind losgelöste Sonderwelten in der (Alltags-)Welt: In ihnen herrschen eigene Gesetze, eigene Rationalitäten, eigene Spielregeln, und in Spielhallen ist einiges 'logisch', was andernorts unsinnig ist.

Beim Spielen an Geldautomaten geht es nämlich beispielsweise gerade nicht um das Gewinnen. Das eine Wesentliche ist vielmehr der Einsatz, die Entbehrung, die Mühe, das ständige sich Bemühen um das Glück. Das andere Wesentliche ist die Verlockung, genauer gesagt: Die gefahrvolle Verlockung, die aus den immer drohenden Einsatzverlusten resultiert. Verlockend ist nicht das Ende der Bemühungen, sondern deren Intensität, deren Dauer und deren 'endlose' Wiederholbarkeit. Sich dieser Verlockung zu stellen, ist die Herausforderung, die bewegt, die man annehmen kann oder auch nicht, die man aber annehmen muss, wenn man in einer bestimmten Kultur, die für einen relevant ist, etwas bzw. jemand sein will. Und hier benötigt das Drama um die Annahme der Herausforderung auch die Zuschauer, das Feld, die Anderen, die das Drama nicht nur gut kennen und das Spiel gut beurteilen können, sondern die es selbst auch ausführen. Und deshalb ist das Spielen in Spielhallen, obgleich jeder sein Spiel spielt, immer eine öffentliche Angelegenheit. Die Anderen müssen es sehen können. Die Halle ist Bühne und Zuschauerraum zugleich.

Der selbstbeherrschte Umgang mit den Risiken des Automatenspiels, das Bestehen der gefahrvollen Herausforderung erbringt den Spielern ein hohes Maß an Befriedigung und Selbstversicherung. Das Spielen an Geldspielgeräten ist in diesem Verständnis eine Art reales (mal kleineres, mal größeres) Abenteuer der Selbstbewährung. Und die Kultur der Spielhalle lässt sich deshalb mit den Begriffen 'Herausforderung' und 'Bewährung' wesentlich angemessener beschreiben als mit 'Spielen um Geld' und 'Spielsucht'.

Laufzeit: 01.03.2008 bis 28.02.2009
 

Kontakt:
Prof. Dr. Jo Reichertz
Dr. Arne Niederbacher

Publikationen:

  • Reichertz, Jo/Niederbacher, Arne/Möll, Gerd/Gothe, Miriam/Hitzler, Ronald (2010): Jackpot: Erkundungen zur Kultur der Spielhallen (zweite, unveränderte Auflage). Wiesbaden: VS.

  • Reichertz, Jo/Niederbacher, Arne/Möll, Gerd/Hitzler, Ronald (2011): Erwartungsräume. Spielkultur in großen und kleinen Spielhallen. Essen: OLDIB

 
 
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