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 Transformation und düsteres Ende der Loveparade
 
 

Transformation und düsteres Ende der Loveparade

Prof. Dr. Ronald Hitzler

Projektlaufzeit:
2006 - 2011

Kurzbeschreibung des Projekts:

Am 24. Juli 2010 starben in Duisburg 21 Menschen, mehrere hundert andere wurden zum Teil schwer verletzt. Diese Menschen wollten nichts anderes als das, was Menschen seit 21 Jahren wollen, die massenhaft zur Loveparade strömen: Eine riesige Party feiern, zusammen tanzen und einen Tag lang inmitten eine Menge Gleichgesinnter unbeschwerten Spaß haben. Der Veranstalter, Rainer Schaller, teilte öffentlich mit, es werde keine Loveparade mehr geben.

Die Loveparade hatte 2007 (in Essen) und 2008 (in Dortmund) nachgerade beispielhaft die Vision einer „Metropole Ruhr“ befördert, vor allem weil sie von ihrer ganzen Konzeption her global eine Metropolen-Veranstaltung war (Berlin, Mexico City, Santiago de Chile, Tokyo, Tel Aviv, Wien, Kapstadt, San Francisco). Die Idee, die Parade auf verschiedenen Strecken bzw. in verschiedenen (Teil-)Städten durchs Ruhrgebiet ziehen zu lassen, brachte auch den Menschen, die mit dem Umzug selber nichts zu tun hatten, diese Metropolen-Vision durchaus näher. Und die Bedeutung dieses Events als Werbeträger für die Kulturhauptstadt 2010 (und für die Region schlechthin) war ohnehin kaum hoch genug einzuschätzen: Sowohl aufgrund der Menge der Teilnehmer als auch, weil sie in mehreren Jahren weltweite Medien-Aufmerksamkeit auf das Ruhrgebiet gelenkt hat, zählte die Parade zu den in mannigfaltiger Hinsicht herausragendsten Ereignissen der multiplen Aktivitäten rund um die Kulturhauptstadt 2010.

Diesen Aspekt der immensen ökonomischen und medialen Bedeutsamkeit haben die Veranstalter ‚von Anfang an‘ sehr direkt kommuniziert, und diese Dimension ist den  Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft des Ruhrgebiets auch klar gewesen, als sie dieses weit über die Belange einer zahlenstarken Jugendszene hinausweisende Event „mit offenen Armen“ aufgenommen haben. Auf ihrem nun so grauenhaft beendeten Weg durch die anvisionierte „Metropole Ruhr“   hat eine allmähliche ‚Entfremdung‘ der Veranstaltung von der Techno-Szene (im engeren Sinne) und deren Wichtigkeiten stattgefunden. D.h., die Parade wurde weg entwickelt von der Herkunftsszene als dem Grundträger des Events, zu Gunsten von etwas Anderem, von etwas, das in einer Mischung aus starkem Bezug an wirtschaftlich-politischen Interessen der Kulturhauptstadt 2010 bzw. einer künftigen Ruhr-Kultur hie und  geschäftlichen Interessen der hinter dem neuen Veranstalter stehenden Studio-Kette „McFit“ da bestand.

Anders ausgedrückt: Die „Geschichte“ der Loveparade im Ruhrgebiet war die Geschichte der allmählichen Herauslösung eines Kult-Ereignisses aus immer mehr seiner ursprünglichen „idealistischen“ Implikationen und Konnotationen und seiner Überleitung und Wiederverortung in einem komplexen Rahmen „materialistischer“ unternehmerischer und stadtpolitischer Kalküle. Diese mir trotz der Katastrophe als alternativlos erscheinende Transformation zu einem multiperspektivischen Marketing-Event, schien ganz augenscheinlich hervorragend dazu zu taugen, vielen Menschen ein unbeschwertes Sommervergnügen zu bereiten. Dieser Schein hat alle Protagonisten und Sympathisanten der Loveparade getrogen. Unfassbares ist geschehen, und jenseits der Suche nach Verantwortlichen stellt sich analytisch die Frage, ob sich Menschenleben kostende Katstrophen bei Massen-Events überhaupt hinlänglich verlässlich verhindern lassen, denn keineswegs zum ersten Mal sehen wir uns in diesem Fall mit der düsteren Seite nicht nur von jugendkulturellen Events, sondern des Prinzips „Event“ schlechthin konfrontiert.

Publikationen:

Hitzler, Ronald/Kirchner, Babette/Betz, Gregor (2011): Das Beispiel Loveparade. In: Betz, Gregor/Hitzler, Ronald/Pfadenhauer, Michaela (Hrsg.): Urbane Events. Wiesbaden: VS. (im Erscheinen)

Hitzler, Ronald/Nye, Sean (2011): Where is Duisburg? An LP Postscript. In: Dancecult: Journal of Electronic Dance Music Culture, Vol. 3/2011 (dj.dancecult.net)

Hitzler, Ronald (2011): Eventisierung des Juvenilen. In: ders.: Eventisierung. Wiesbaden: VS. S. 69-92.

Hitzler, Ronald (2010): Lost in Transformation? Die Loveparade im Ruhrgebiet. In: Richard, Birgit/Krüger, Heinz Hermann (Hrsg.): inter-cool 3.0. Jugend Bild Medien. Ein Kompendium zur aktuellen Jugendkulturforschung. München: Fink. S. 141-150.



 
 
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